Page 17 - Walter Andreas Kirchner - Album
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von Gewalt und Panik, wie sie weltweit geschieht. Es sind Szenen zunehmender Hilflosigkeit, die Kirch-
ner, allegorisch und zugleich der unmittelbaren Wirklichkeit entnommen, nachgestaltet.
Diese Unmittelbarkeit der künstlerischen Umsetzung ist eines der Kennzeichen seiner Kompositionen.
Kirchners dargestellte Wirklichkeit ist eine Interpretation ihrer Problematik ohne Lösungsvorgabe. Die
bekannten alten Tugenden greifen nur noch bedingt und werden von verspätet aufflammenden regionalen
Konflikten überschattet. Unverschmerzte historische Empfindlichkeiten vermögen noch immer den uni-
onalen europäischen Gedanken störend zu hinterfragen. Kirchners Kunst kommt ohne eine diesbezügli-
che Positionierung aus. Sein Banat ist inzwischen nicht viel mehr als eine Kindheitserinnerung mit zuneh-
mend verwischter Kontur, und Pforzheim nicht viel mehr als ein halber Zufall. Keiner der beiden Bezugs-
punkte ist austauschbar, aber auch nicht Herzstück. Es gibt keine Umkehr, und eine solche ist auch nicht
gewollt.
Gegenwärtig und flüchtig
Und immer wieder Blumen! Ich kann mich dieser Faszination aus Farbe,
Vergänglichkeit und Wiederkehr aus der Dunkelheit und Nässe der Erde
ins Licht nicht entziehen.
W. A. Kirchner
Immer wieder Landschaften! Sie begleiten Kirchners künstlerisches Gesamtwerk und bestimmen es mit.
Sie sind mehr als dekorative Nebenerscheinungen und mehr als die großen Themen ergänzende Studien.
Sie wiederholen nicht ostentativ die drohenden Folgen des Klimawandels und verweigern sich jeder
verniedlichenden Beiläufigkeit. Kirchners Landschaften kommen ohne Ruinen aus, ohne Gartenkunst,
und auch ohne Menschen und Tiere. Es sind die elementaren Komponenten wie Wind und Wasser und
Feuer, die er bewegt in Wolkenbildern und Wasserstürzen, in Spiegelungen, Ballungen und Fernen.
„Wenn Winde deine Fluren fegen“ heißt eines seiner aufwühlenden Landschaftsbilder, in das ein Unwetter
überfallartig einbricht, als hätte es die Erde auseinander zu brechen sich vorgenommen im Übermut – ge-
rade mal so nebenbei. Kirchner zeigt in diesem Bild nicht die vom Sturm angerichteten Schäden.
Er verurteilt nicht, was gesetzmäßig geschieht und sich dem menschlichen Zugriff entzieht, der auf den
kleinen eigenen Nutzen bedacht ist. Den Künstler bewegt der Vorgang an sich, die Entfesselung der
Naturgewalten, die er nachgestaltet um sie zu enträtseln oder zumindest kausal sich zuordnen zu können.
Er baut sie szenisch nach, schält den Kern heraus – bewundernd und ohne Zorn.
Kirchners Landschaften suchen nicht die Idylle, aber sie weichen einer solchen nicht aus. Er übernimmt
sie ohne Staffage und bindet sie nicht in ein Programm ein. Sie sind eher sein Schweigen im großen
öffentlichen Lamento. Er scheut sich nicht, den goldenen Oktober zu malen und das Bild schlichtweg
„Herbstmelancholie“ zu betiteln. Ein Bild, das in verschwenderisch aufgetragenen Farben aufglüht – ganz
so, wie der Herbst auch sonst gemalt wird. Kirchner sucht für seine Landschaften nicht nach neuen
Darstellungsmustern. Er verzerrt nicht, um das Schöne zu ergründen.