Page 14 - Walter Andreas Kirchner - Album
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Würde ich die Farbe Grün durch ein kräftiges Blau ersetzen, so ergäbe das, zusammen genommen, die ru-
                 mänischen Nationalfarben. So nahe beieinander scheinen die Dinge zu liegen und sind doch so weit von-
                 einander weg. Mich verbindet weder ein vordergründiger noch ein verdeckter Patriotismus mit meiner al-
                 ten Heimat im Banat. Ich bin in Rumänien aufgewachsen und künstlerisch ausgebildet worden, aber ich
                 könnte nichts typisch Rumänisches gestalten – wobei mich manches durchaus fasziniert. Das Elementare,
                 nahezu Brachiale der Volkstänze im Oascher Land – das kann mich als Zuschauer begeistern, nur gestalten
                 könnte ich es nicht. Ich könnte es auch nicht tanzen.“
                 Es sind Gedanken zu einem Familienbild, 1997 aufgezeichnet von Kirchner und von mir aus dem
                 Gedächtnis ergänzt, und so nähert, beides zusammen, eine vergangene Realität an, die zeigt, wo wir uns
                 warum befinden. Es mag ja durchaus sein, dass jeder für sich die Welt ein wenig anders sieht und sie auch
                 anders haben möchte. Vergeblich. Denn die Welt ist nicht individuell angelegt, und so ist es hinzunehmen,
                 wenn es nur gerade mal so oben rüber gelingt, sie uns anzupassen. Ohnehin ist es heute weniger unsere
                 Sache, sie zu verändern, als sie zu erhalten. Anders gesagt: wir sind es, die sich verändern müssen, und so
                 wird es zunehmend auch ein Anliegen der Kunst sein, unsere neue Unvollkommenheit (oder Fragwürdig-
                 keit) darzustellen. War sie bisher nie verlegen, wenn es darum ging, einen Feind zu benennen und gegen
                 ihn vorzugehen, so gelingt uns das heute nur marginal, weil wir den Verweigerer (oder Übeltäter) in uns
                 selbst erkennen. Wir nennen es gern Existenz, wenn es um den Konsum geht, und bringen von unseren
                 Kreuzfahrten wunderliche Fotos aus einer fernen Dritten Welt mit nach Hause. Wir loben den Frieden,
                 aber fühlen uns nicht geborgen. Es ist, wie es ist, sagen wir und wissen, dass es zu wenig sein wird.
                 Kirchner klagt in seinen gesellschaftskritischen Bildern nicht vordergründig an. Es ist nicht der Wohl-
                 stand, den er beanstandet – ja nicht einmal dessen fragwürdiger Erwerb. Ihn beschäftigt der gesellschaftli-
                 che Umgang mit dem Besitz, die Lethargie der Sättigung und die Umkehrung der Werte. Er bietet keine
                 Antworten an, wo keine zu erwarten sind. Neben der sphärisch wirkenden und von jeder Erdenschwere
                 befreienden Ballettszene „Rhapsodie in Blau“, stellt er („Orpheus' Tod“) großformatig und aktualisiert
                 das Scheitern an sich selbst dar; neben der verbrauchten Sexualität („Am Morgen“) die ableitende „Zärt-
                 lichkeit“ in Rosa und mahnt, zum Titel „Vergänglich“, das Zeitmaß alles Irdischen an. Er malt die „Begeg-
                 nung“, die keine mehr sein kann, und sein „Abendmahl“ ruft uns die schöne Sünderin Maria Magdalena
                 ins Gedächtnis. In der Runde der Jünger ist kein Platz frei für den Menschen, der Jesus vielleicht am
                 nächsten war, und dieser selbst – verklärt und überstrahlt von der göttlichen Gnade – ist schon nicht
                 mehr von dieser Welt. Die Botschaft ist wichtiger als das Leid, der Schmerz jedoch bleibt und kein neues
                 Wunder wird die Büßerin trösten. Das „Abendmahl“ findet keine Fortsetzung in Kirchners bildnerischem
                 Werk und wirkt doch nach. Er weiß, dass Bilder an sich die Welt nicht besser machen. Es ist ja nicht die
                 letzte Weisheit, was die Kunst hinausschreit in eine von Erbärmlichkeiten bestimmte Welt, in der alles sei-
                 nen Preis hat. Seinen fallenden Preis – nicht aber auch seinen fallenden Wert. Denn woran wir zu messen
                 sein werden, ist die Unversehrtheit unserer vielfach bedrohten Erde, die wir am Amazonas abbrennen
                 und im Rheinischen Braunkohlerevier wegbaggern.

                 Welch eine Anmaßung, über die Rentabilität der Schöpfung entscheiden zu wollen, die Gesetzmäßigkeit
                 des Planeten auszuhebeln an den Polen und auszuhöhlen bis in den innersten Kern. Kirchner spürt das
                 gesellschaftliche Nachbeben der globalen Verwerfung und ist nicht versucht, es zu überpinseln. Die Not
                 der Zeit drängt ihn Kassandra in die Arme. Er malt den „Aufschrei“, den „Rufer in der Wüste“ und den
                 „Zuflüsterer“ – Bilder, die in ihrer Dringlichkeit einander überlagern und nichts anderes mehr zu übermitteln
                 in der Lage sind, als eine lähmende Ratlosigkeit.Masken stellen sich dem Schrecken entgegen, und es ist
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