Page 7 - Walter Andreas Kirchner - Album
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Franz Heinz

                Kirchner und die Bestätigung der Unrast





                                                                                 Freiheit ist die Möglichkeit, die Welt zu verändern.
                                                                                                         W.A. Kirchner

                Es ist eine innere Unrast, die den Künstler Walter Andreas Kirchner fordert, treibt und wach hält. Sie mag
                zum Teil Erbgut sein, beigegeben als begleitende Befindlichkeit einer Handwerkerfamilie, die sich durch-
                bringen musste in einer Welt, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg von außen und innen bedroht und
                ohne Perspektive vorkam. Als Deutsche in Rumänien enteignet und erst nach einem Jahrzehnt später wieder
                mit staatsbürgerlichen Rechten ausgestattet, konnte eine Reintegration in das nun sozialistisch gewordene
                Staatsgefüge nur zögerlich vor sich gehen. Die Unrast blieb und nahm zu in der allseitig gegenwärtigen
                Not der frühen Nachkriegsjahre in einer Heimat, die es nicht mehr war. Die Familie Kirchner wechselte
                den Wohnsitz, zog in die Großgemeinde Perjamosch am gegenüberliegenden Ufer der Marosch um und
                dann weiter in die Gebietshauptstadt Temeswar/Timişoara – und schließlich über die Grenze hinweg in eine
                andere Zugehörigkeit. In die Fremde. Es war die Niederlage vor allem der kleinen Leute, die sich, nach
                Kriegsende, im heimatlichen Banat vom eigenen Staat abgewiesen vorkamen. Für immer. Im badischen
                Pforzheim kamen die Kirchners als Spätaussiedler ausgerechnet in der Friedenstraße unter, in der ihr
                Haus aufragt über der munteren Nagold; die vorbeirauscht und auf  ihre Weise der Unrast Vorschub leis-
                tet:
                Das Haus in der Friedenstraße 196, so ansehnlich es auch ist, kommt äußerlich ohne Beschreibung aus.
                So angepasst es nach außen auch wirken mag, so eigenwillig schichtet es im Inneren die Etagen übereinan-
                der, spart hier ein privates Kabinett aus und öffnet dort den Zugang zur Beletage, die sich zum Erker hin
                durchbricht und den Raum erweitert für das ausgesuchte Mobiliar, das sich repräsentativ zur Schau stellt.
                Zwanglos auf den ersten Blick, und es braucht schon einen zweiten, um die Unikate, jedes für sich und im
                Ensemble, entsprechend wahrzunehmen.
                Die Hanglage der Straße verstuft den Eingangsbereich zum Garten hin, wo auf  drei Terrassen Kirchners
                Skulpturenpark zu sehen ist. Meisterstücke, aus bestem Carrara-Marmor geschlagen. Nebenan das Atelier
                und Depot des Künstlers, der beides sein will und es ist: Bildhauer und Maler. Ein Drang zum Monumen-
                talen und die Faszination des Steins fordern den Bildhauer in ihm heraus; die gesellschaftliche Einbindung
                in unser schnelllebiges Zeitalter den Maler. Das Eine steht scheinbar gegen das Andere, und doch sind
                beide auf  eine Sinnfindung aus in einer sich eher hilflos äußernden Gegenwärtigkeit. Sie bilden die Pole
                von Kirchners analytischer Weltsicht: das Glück und das Elend der Existenz, das Tragende und das
                Zerstörende. Die Annahme der Schöpfung nicht als Geschenk, sondern als Aufgabe.
                Kirchner war schon immer auf  der Suche nach der Ursprünglichkeit. Sie mag unterschiedlich auslegbar
                sein, gebunden an den jeweils zugemessenen Lebensabschnitt und auch an das, was wir Schicksal nennen.
                Beides ist, wie er es schon früh zu erfahren genötigt war, weder zeitlich wählbar noch voraus bestimmbar.
                Wenn aber die in der Banater deutschen Presse veröffentlichten  Holzschnitte des noch jugendlichen
                Künstlers von den Vorgaben der revolutionären Volksdemokratie nicht nur abweichen, sondern diesen –
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