Page 8 - Walter Andreas Kirchner - Album
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unter Berufung auf alte Redensarten, Sprichwörter und Bauernregeln – geradezu widersprechen, so geschah
                 das getragen von einer verinnerlichten gesellschaftlichen Zugehörigkeit.

                 Was von der alles bestimmenden Partei als politisch überholt abgewertet wurde, feierte in diesen rustikalen
                 Holzschnitten fröhliche Urstände. Kirchner illustriert die alte Volksweisheit „Kummt'r uf's Ross, dr Bettl-
                 mann, reit'r ärger wie dr Edlmann“ und charakterisiert so die Arroganz des Emporkömmlings in einer Zeit,
                 in der die Auslese der neuen Elite weniger nach der Fähigkeit als nach der bedingungslosen Ergebenheit
                 vorgenommen worden ist. Seine Illustration des Sprichworts „Wu nix is, geht aa nix verlor“ aber spöttelt
                 über die Umkehr der Eigentumsverhältnisse nach der Agrarreform, die einen empfindlichen Rückgang
                 der Hektarerträge und damit verbunden eine Unterversorgung der Bevölkerung zur Folge hatte. Es war
                 die innere Auflehnung des jungen Kirchner gegen den gesellschaftspolitischen Terror im Rumänien  der
                 Nachkriegsjahre, dem sich vorweg die mit dem Makel der Kollektivschuld belastete deutsche Minderheit
                 ausgesetzt sah. Kirchners Illustrationen zu den schwäbischen Sprichwörtern und Redensarten sind eine
                 innere Auflehnung gegen die verordnete politische und wirtschaftliche Umgestaltung der Gesellschaft, als
                 deren unmittelbares Opfer sich die Banater Deutschen nach erfolgter Deportation und Enteignung vorkom-
                 men mussten. Dieser, wenn auch zeitweilige, gesellschaftliche Ausschluss führte nicht nur bei dem jungen
                 Kirchner zur verstärkten Rückbesinnung auf überkommene und gerade noch geduldete Eigenheiten, in die
                 man sich einzukapseln verstand, in der trügerischen Hoffnung auf  eine Wende, die allerdings auf  sich war-
                 ten ließ und so den nahezu geschlossenen Auszug der deutschen Minderheit aus dem Banat und aus Sieben-
                 bürgen auslöste.
                 1981, nach langen und harten Wartejahren, gelang der Familie Kirchner die Ausreise in die Bundes-
                 republik Deutschland, und im gleichen Jahr schon stellte der Künstler in Pforzheim, Leonberg, Traben-
                 Trarbach, Weilburg, Sindelfingen, Bonn-Oberwinter und auf  der Triennale Internationale de Sculpture
                 Bordeaux aus, die ihm einen Preis zuerkannte, wie wenig später auch der Pariser Internationale Salon für
                 zeitgenössische Kunst. Es kam einem Vollstart in die westliche Kunstszene gleich, dem impulsiv agieren-
                 den Künstler angemessen, der allerdings sein Brot zunächst an der Volkshochschule verdienen musste.
                 Das versprach nicht sehr viel, aber es warf  auch nicht aus der Spur. Und was wäre die Freiheit sonst, als
                 eine Möglichkeit zur Veränderung?
                 Lag nicht Italien vor der Tür? Es konnte für Kirchner keine Frage sein, wie wichtig Italien ist. Nicht als
                 Reiseziel, sondern um es in sich aufzunehmen als Ganzes und mehr heimzubringen als Fotos von einer
                 Klippe oder einem schiefen Turm, mehr als Chianti mit dolce vita. Es kam darauf  an, Goethes selbster-
                 nannter ferner Vetter zu sein auf  einer nicht nachgestellten Reise in ein nachhallendes Arkadien. Ein ver-
                 messener Traum? Nein, so war es keineswegs. Im toskanischen Camaiore hatte sich schon Jahre vorher
                 der Schäßburger Dieter Schlesak niedergelassen für immer, und Gregor von Rezzori, der feine Herr aus
                 Czernowitz, war heimgekehrt in sein Anwesen bei Arezzo. Es war allerdings, wie in anderen aufzählbaren
                 Fällen, nicht ganz das Gleiche. Es ging dem Bildhauer Kirchner auf  der Suche nach einem italienischen
                 Standort weniger um dessen örtlichen Reiz als um eine damit verbundene kreativ umsetzbare Zweckmä-
                 ßigkeit. Er entschied sich für das eher unscheinbare Montignoso, das, eingeklemmt zwischen Küste und
                 Berg, gerade mal die Autobahn durchlässt und ohne Auffälligkeit mit sich selbst zufrieden ist. Der Weg zu
                 Kirchners erworbener Hofstelle schlängelt sich wie nirgendwohin bergwärts. Vom Hof aus dann der Blick
                 auf einen Zipfel Mittelmeer, aus dem abends ein Leuchtfeuer aufblitzt. Der Gartenterrasse vorgesetzt ein
                 Olivenbaum, in gemeinsamen Sommertagen von Freunden gepflanzt. Es geht ihm gut, und Kirchner lässt
                 den inzwischen gealterten Freunden gelegentlich ein Glas eingelegter Oliven von „unserem Baum“
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